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Wiederbegegnung mit einem Meister

Jul 2020
24

Was bleibt ist der arme Poet. Der große Westen mit seiner Idee hat sich überlebt und sein großer Bruder im Osten ebenso. Es fehlt weiterhin die Idee der Mitte. War es doch einst die Chance der EU, getragen aus den Kriegen, die erst die Staaten formten, dann die Einsicht. Heute ist Zerfall das Schlüsselwort. Einsicht sucht man vergebens. Alles ist geprägt von Machtinteressen und Egoismen.
Teppichhändler, Gaukler, Warenströme // Ein Husar wer anderes dächte und erhoffte // Dem Guten, dem Wahren und dem Schönen // Ja, so wird es uns gelehret // soll Geist - soll Kunst, Kommerz bekehren // Seinem Dasein höher`n Sinn verleihen // wo üble Teufel Gall und Gift verspeien // Doch niedere Sinne machten aus Erkenntnis Gift // Strategen nutzen es mit spitzem Stift // Unfriede herrscht, was einst vereinen sollt // der Mensch Geschlecht - zum Ziel ausrollt // Einst stieg Zeus selbst, geformt als Stier // zum Mensch hinab und raubte ihm Europe // Heut trottet dieser in der Grube // gelähmt, sein kühner Flügelschlag im Pfluge // Schon fast zerrieben unter dem Geknirsche // verdrehter Wahrheit, liegt die Kirsche // Was also blieb von der IDEE? // Nichts. Nada, weiß Papier - ein Traum aus Schnee!

Pegasus im Joche

Auf einen Pferdemarkt – vielleicht zu Haymarket,
Wo andre Dinge noch in Waare sich verwandeln,
Bracht’ einst ein hungriger Poet
Der Musen Roß, es zu verhandeln.

Hell wieherte der Hippogryph,
Und bäumte sich in prächtiger Parade;
Erstaunt blieb Jeder stehn und rief:
Das edle, königliche Thier! Nur Schade
Daß seinen schlanken Wuchs ein häßlich Flügelpaar
Entstellt! Den schönsten Postzug würd’ es zieren.
Die Race, sagen sie, sey rar,
Doch wer wird durch die Luft kutschieren?
Und keiner will sein Geld verlieren.
Ein Pächter faßte endlich Muth.
Die Flügel zwar, spricht er, die schaffen keinen Nutzen;
Doch die kann man ja binden oder stutzen,
Dann ist das Pferd zum Ziehen immer gut.
Ein zwanzig Pfund, die will ich wohl dran wagen;
Der Täuscher, hoch vergnügt die Waare loszuschlagen,
Schlägt hurtig ein. „Ein Mann, ein Wort!“
Und Hans trabt frisch mit seiner Beute fort.

Das edle Thier wird eingespannt;
Doch fühlt’ es kaum die ungewohnte Bürde,
So rennt es fort mit wilder Flugbegierde
Und wirft, von edelm Grimm entbrannt,
Den Karren um an eines Abgrunds Rand.
Schon gut, denkt Hans. Allein darf ich dem tollen Thiere
Kein Fuhrwerk mehr vertraun. Erfahrung macht schon klug.
Doch morgen fahr’ ich Passagiere,
Da stell’ ich es als Vorspann in den Zug.
Die muntre Krabbe soll zwei Pferde mir ersparen;
Der Koller gibt sich mit den Jahren.

Der Anfang ging ganz gut. Das leichtbeschwingte Pferd
Belebt der Klepper Schritt, und pfeilschnell fliegt der Wagen,
Doch was geschieht? Den Blick den Wolken zugekehrt,
Und ungewohnt, den Grund mit festem Huf zu schlagen,
Verläßt es bald der Räder sichre Spur,
Und, treu der stärkeren Natur,
Durchrennt es Sumpf und Moor, geackert Feld und Hecken;
Der gleiche Taumel faßt das ganze Postgespann,
Kein Rufen hilft, kein Zügel hält es an,
Bis endlich, zu der Wandrer Schrecken,
Der Wagen, wohlgerüttelt und zerschellt,
Auf eines Berges steilem Gipfel hält.

Das geht nicht zu mit rechten Dingen!
Spricht Hans mit sehr bedenklichem Gesicht.
So wird es nimmermehr gelingen;
Laß sehn, ob wir den Tollwurm nicht
Durch magre Kost und Arbeit zwingen.
Die Probe wird gemacht. Bald ist das schöne Thier,
Eh noch drei Tage hingeschwunden,
Zum Schatten abgezehrt. Ich hab’s, ich hab’s gefunden!
Ruft Hans. Jetzt frisch, und spannt es mir
Gleich vor den Pflug mit meinem stärksten Stier!

Gesagt, gethan. In lächerlichem Zuge
Erblickt man Ochs und Flügelpferd am Pfluge.
Unwillig steigt der Greif und strengt die letzte Macht
Der Sehnen an, den alten Flug zu nehmen.
Umsonst, der Nachbar schreitet mit Bedacht,
Und Phöbus stolzes Roß muß sich dem Stier bequemen,
Bis nun, vom langen Widerstand verzehrt,
Die Kraft aus allen Gliedern schwindet,
Von Gram gebeugt das edle Götterpferd
Zu Boden stürzt, und sich im Staube windet.

Verwünschtes Thier! bricht endlich Hansens Grimm
Laut scheltend aus, indem die Hiebe flogen.
So bist du denn zum Ackern selbst zu schlimm,
Mich hat ein Schelm mit dir betrogen.

Indem er noch in seines Zornes Wuth
Die Peitsche schwingt, kommt flink und wohlgemuth
Ein lustiger Gesell die Straße hergezogen.
Die Cither klingt in seiner leichten Hand,
Und durch den blonden Schmuck der Haare
Schlingt zierlich sich ein goldnes Band.
Wohin, Freund, mit dem wunderlichen Paare?
Ruft er den Baur von weitem an.
Der Vogel und der Ochs an einem Seile,
Ich bitte dich, welch ein Gespann!
Willst du auf eine kleine Weile
Dein Pferd zur Probe mir vertraun?
Gib acht, du sollst dein Wunder schaun.

Der Hippogryph wird ausgespannt,
Und lächelnd schwingt sich ihm der Jüngling auf den Rücken.
Kaum fühlt das Thier des Meisters sichre Hand,
So knirscht es in des Zügels Band,
Und steigt, und Blitze sprühn aus den beseelten Blicken.
Nicht mehr das vor’ge Wesen, königlich,
Ein Geist, ein Gott, erhebt es sich,
Entrollt mit einem Mal in Sturmes Wehen
Der Schwingen Pracht, schießt brausend himmelan,
Und eh der Blick ihm folgen kann,
Entschwebt es zu den blauen Höhen.

Friedrich Schiller

Ein Appell zur Stärkung der Moral in schwieriger Zeit

Jun 2020
11

Wovon man nicht sprechen kann darüber muß man schweigen.

Mein lieber Wittgenstein! Dem ist wohl so.
Doch gleichwohl findet sich auch immer jemand, der diese Schätze zu heben weiß, damit sie nicht ungesagt im dunklen Grabe verschwinden.

Courtesy of Freer Gallery of Art and Arthur M. Sackler Gallery, Smithsonian Institution

Bert Brecht schrieb dieses wundervolle Gedicht 1938 in Skovsbostrand bei Svendborg in Dänemark. Angeblich soll er 1933 auf dem Weg ins Exil aus Berlin ein chinesisches Rollbild mitgenommen haben, das den Laotse im Gebirge auf einem Ochsen reitend darstellte. Es hing wohl an der kahlen Wand bei seinem Schreibtisch, bevor er kurz danach weiter emigrierte und schließlich über den Osten in den Westen und dann wieder nach Berlin zurückkehrte. Im Mai des Jahres 1956 wurde Brecht mit einer Grippe in die Berliner Charité eingeliefert und starb am 14. August 1956 an einem Herzinfarkt.
Laotse selbst ist wohl ein Mythos, als leibgewordener Gründer des Taoismus. Heute nimmt man an, dass das Buch des Tao-Te-King ein Sammelwerk verschiedenster mündlicher Überlieferungen ist, dazu noch aus unterschiedlichen Zeiten. Und doch hat dieser Mythos sich tief in die chinesische Werdung hinein verknüpft; und von da aus in die ganze Welt.

 

BERTOLT BRECHT
LEGENDE VON DER ENTSTEHUNG DES BUCHES TAO TE KING
AUF DEM WEG DES LAOTSE
IN DIE EMIGRATION

Als er siebzig war und war gebrechlich,
Drängte es den Lehrer doch nach Ruh’,
Denn die Weisheit war im Lande wieder einmal schwächlich
Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.
Und er gürtete den Schuh.

Und er packte ein, was er so brauchte:
Wenig. Doch es wurde dies und das.
So die Pfeife, die er abends immer rauchte,
Und das Büchlein, das er immer las.
Weißbrot nach dem Augenmaß.

Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es,
als er ins Gebirg den Weg einschlug.
Und sein Ochse freute sich des frischen Grases
Kauend, während er den Alten trug.
Denn dem ging es schnell genug.

Doch am vierten Tag im Felsgesteine
Hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt:
„Kostbarkeiten zu verzollen?” „Keine.”
Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach:
„Er hat gelehrt.”
Und so war auch das erklärt.

Doch der Mann in einer heitren Regung
Fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?”
Sprach der Knabe: „Daß das weiche Wasser in Bewegung
Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt.”

Daß er nicht das letzte Tageslicht verlöre,
Trieb der Knabe nun den Ochsen an.
Und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre.
Da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann
Und er schrie: „He, du! Halt an!”

„Was ist das mit diesem Wasser, Alter?”
Hielt der Alte: „Interessiert es dich?”
Sprach dem Mann: „Ich bin nur Zollverwalter,
Doch wer wen besiegt, das interessiert auch mich.
Wenn du’s weißt, dann sprich!

Schreib mir’s auf. Diktier es diesem Kinde!
So was nimmt man doch nicht mit sich fort.
Da gibt’s doch Papier bei uns und und Tinte
Und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort.
Nun, ist das ein Wort?”

Über seine Schulter sah der Alte
Auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh.
Und die Stirne eine einzige Falte.
Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.
Und er murmelte: „Auch du?”

Eine höfliche Bitte abzuschlagen
War der Alte, wie es schien, zu alt.
Denn er sagte laut: „Die etwas fragen,
Die verdienen Antwort.” Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.”
„Gut, ein kleiner Aufenthalt.”

Und von seinem Ochsen stieg der Weise,
Sieben Tage schrieben sie zu zweit.
Und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise
Mit den Schmugglern in der ganzen Zeit).
Und dann war’s so weit.

Und dem Zöllner händigte der Knabe
Eines Morgens einundachtzig Sprüche ein
Und mit Dank für eine kleine Reisegabe
Bogen sie um jene Föhre ins Gestein.
Sagt jetzt: kann man höflicher sein?

Aber rühmen wir nicht nur den Weisen,
Dessen Name auf dem Büchlein prangt!
Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.
Darum sei der Zöllner auch bedankt:
Er hat sie ihm abverlangt.

Ein uralter Spruch, überliefert den Ohnmächtigen der Welt, denen nichts anderes gegeben, als sich immer wieder selbst erneut den Mächtigen entgegenzustellen. Weichgespült durch Menschenkraft des Widerstands. Das Mittel, um auch heute noch die repressive Staatsgewalt das Fürchten zu lehren! Denken wir nur an die tapferen Studenten aus Hongkong und welche Sogwirkung sie auf ihre Mitbürger hatten. Wasser und simple Regenschirme, welch eine Symbolik. Die Geschichte ist voll davon wie dieses einfache Mittel die stärksten Systeme brach. Doch leider haben diese dazugelernt und verfügen heute über die schrecklichen Möglichkeiten der digitalen Komplettüberwachung. Ein ungleicher Kampf mit ungewissen Ausgang.

Lao Tse, Spruch 78, LXXVIII
“Nichts Nachgiebigeres in der Welt als Wasser /
Dennoch zwingt es das Härteste.”

Tröstung und Hoffnung zugleich!
Murmeln wir also tapfer unser Mantra: “Daß das weiche Wasser in Bewegung / Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt /...dass das..”

Die Logik der seltsamen Position

Sep 2017
05

oder, Wie der gerade verstorbene Dichter John Ashbery (* 28. Juli 1927) den Film-Künstler Jim Jarmusch inspirierte.

 

 

 

All beauty, resonance, integrity,
Exist by deprivation or logic
Of strange position.

–“Le livre est sur la table,” Some Trees (1956)
 

 

» 1974 entdeckte ich die wunderschönen Gedichte von John Ashbery zum ersten Mal in “Some Trees”. Besonders diese kurzen Eröffnungszeilen vibrieren seither in mir. Ihre prägnante Eleganz schien mir vom Dichter eine Herausforderung zu sein, sie wörtlich zu nehmen. Das habe ich auch getan. Das Verstehen, dass diese drei Qualitäten “durch Entbehrung existieren”, hat mich dazu geführt, Begrenzungen als Stärken anzunehmen. Ebenso hat mich die wundervolle “Logik der seltsamen Position” dazu ermutigt, die inhärente Gabe des Gefühls eines Außenstehenden zu feiern und die Dinge von den Rändern aus enthusiastisch zu betrachten. «

Jim Jarmusch, in “90 lines for John Ashbery’s 90th birthday” (Literary Hub, 28 Juli 2017)

 

Also versuchen wir es ein mal:

Der Dichter sagt uns, Alle Schönheit, Resonanz und Integrität, bestehen entweder durch ihre Entbehrung oder durch die Logik ihrer besonderen Lage. So liegt das Buch (des Lebens) auf dem Tisch. Ich betrachte es in dem ich es wiege und wende, im Nahen wie im Entfernten, erlese mir seinen Zauber von Rande her, durchfließe seine innere Mitte und ende vollgesogen wieder am Rande: Erkenne die Schönheit, Hinterlassenschaft und wahren Kern nicht aber weil ich in ihr bin oder verbleibe, sondern, weil ich sie und es mit wechselnden Standpunkten und Entfernungen, von Außen betrachte. Ihre Besonderheit erkenne ich, weil sie sich bewußt von dem Alltäglichen entfernt, einen erhabenen oder eigenen Standpunkt hat. Das Beschreiben der drei genannten Qualitäten ist deshalb in besonderer Weise dazu geeignet den Rändern mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Sie erst ermöglichen das innere Wesen zu erkennen. Dies sollte auch einer Gesellschaft zu eigen sein. Bravo Jim! Ein Weg, den es zu gehen lohnt.

John BergerUnd nicht zu vergessen: Ich muss herzhaft über SIE und MICH und DICH lachen können. Ohne dies wird das Leben sterben. Denn hier ist es, wo wir uns begegnen!
So inspirieren auch mich diese alten Knaben immer wieder. Ein mir sehr wertvoller, der auch mit 90 aus dem vollen Leben schied, schrieb dazu:

» Ich las so gerne, weil ich mich durch die Bücher in das Leben anderer hineinversetzen konnte. Deshalb las ich. Unzählige Bände. Und jeder handelte vom richtigen Leben, aber nie von dem, was mit mir geschah, bevor ich mein Lesezeichen fand und weiterlas. Während ich las, vergaß ich die Zeit. [...]
  Im Moment laufe ich Gefahr, nur noch Unsinn zusammenzuschreiben.
  Schreib einfach auf, was du findest.
  Ich werde nie wissen, was ich gefunden habe.
  Nein, das wirst du nie wissen. Alles, was du wissen musst, ist, ob du lügst oder ob du die Wahrheit erzählst.
 «

John Berger (* 5. Nov 1926), in “Hier, wo wir uns begegnen”.

Danke, all meinen Johns & Jims!